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Kapitel 3

Mit angespanntem Kiefer starrte Freya auf die Schemen, die sich durch die Dunkelheit bewegen. „Wer ist das?", fragte sie erneut und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus Noraja. Während sich jeder Muskel in Freya auf einen Kampf vorbereitete, schien diese völlig entspannt zu sein. Sie grinste immer noch, obwohl sie keine Antwort auf ihren Ruf erhalten hatten. 

Jason war zurückgetreten, als auch er verstand, dass etwas nicht stimmen konnte. Liam hatte sich schützend an die Seite seiner Schwester geschoben und gemeinsam zielten sie in die Dunkelheit. All das trieb Freya ein übles Gefühl in den Magen. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie ihre langen Haare unter der Kapuze verschwinden und trat synchron mit Liam einen Schritt zurück.

„Ein Freund", erwidert Noraja nach einer Weile und hob dabei das Kinn.

Ein starker Windzug rauschte durch die Baumkronen und ließ die morschen Äste aufschreien. Schlagartig riss die dichte Wolkendecke auf und das kalte, weiße Mondlicht spiegelte sich tanzend in den Sichelklingen wider, welche in Norajas Händen ruhen.

„Bei jedem anderen hätte mich diese Aussage beruhigt. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören, erweckt eher das Gefühl, flüchten zu müssen", knurrte Liam, verstärkte den Griff um seine Waffe und fixierte die näherkommenden Gestalten.

„Ich dachte, Greenbloods flüchten nicht?", spottete Noraja und warf ihm einen amüsierten Blick zu.

Liam streckte ihr den Mittelfinger entgegen. 

„Wir riskieren unser Leben aber auch nicht für Bullshit."

„Mimimi ...", Noraja rollte dabei die Augen und sah wieder nach vorn. „Dann hättet ihr die Nachricht von Schildmaid besser ignorieren sollen. Ich bezweifle, dass das hier kein Bullshit wird und jetzt ...", sie senkte ihre Sichelklingen, „steckt die Waffen weg. Euch passiert nichts. Es ist wirklich ein Freund."

„Auf gar keinen Fall", erwiderte Liam spöttisch.

„Ein todbringender Freund?", fragte Jason, dessen Waffe ebenfalls noch auf die näherkommenden Gestalten zielte.

Noraja hob die Braue und warf ihm einen fragenden Blick zu. 

„Haben wir noch eine andere Sorte von Freunden?"

Eine eigenartige Aura erreichte Freya. Ein Duft oder vielleicht war es auch einfach nur Einbildung, doch schlagartig fiel die Anspannung von ihr ab und sie seufzte. Sie senkte ihre Pistole, verstaute sie unter ihrer Sweatjacke und trat wieder nach vorn zu Noraja.

„Bist du noch ganz dicht", knurrte Liam, als er ihre Reaktion beobachtete.

„Nein, aber ich weiß, wer da kommt. Ich bin ihm schon begegnet. Unsere Waffen werden uns in diesem Fall nicht helfen und schon gar nicht am Leben halten."

Liam und Jason senkten sich einen unsicheren Griff und entschieden schweigend, dass ihre Waffen genau an dieser Stelle verbleiben würden. Die Schemen wandelten sich endlich zu Schatten, deren Umrisse menschliche Formen annahmen und nach zwei weiteren Atemzügen, erkannten auch die beiden, wer sich soeben in ihre Runde gesellte. Dennoch ließ diese Tatsache keine Freude aufkommen. Eher das Gegenteil. Jen Thorn hatte offensichtlich ihre Protagonisten freigelassen und das konnte nur Ärger bedeuten.

Noraja hingegen lachte leise, neigte den Kopf und fixierte den Dunkelhaarigen, der die Gruppe anführte. 

„Antry. Was verschafft mir die Ehre eines erneuten Aufeinandertreffens?"

Ein Lächeln breitete sich langsam auf Antrys Lippen aus, die unter seinem dichten, schwarzen Vollbart nur zu erahnen waren. Sein Lächeln war weder warm noch einladend, sondern trug etwas Unergründliches in sich, etwas, das sowohl eine stumme Warnung als auch eine unausgesprochene Botschaft transportierte.

Dandelia und Iskaii tauschten einen kurzen Blick, das stille Einverständnis, dass Vorsicht geboten war. Ihre Finger schlossen sich fester um die Schwertgriffe und ihre Muskeln spannten sich an.

Auch Samantha, die etwas abseits stand, gefiel diese unerwartete Reaktion keineswegs. Ihre Augen verengten sich misstrauisch, als das Lächeln von Antry breiter wurde. Locker, aber entschlossen legte sie den Zeigefinger auf den Abzug.

Doch bevor die Situation eskalieren konnte, erklang die tiefe Stimme von Antry.

"Noraja", sagte er und mit einer unerwarteten Wärme in seinem Blick trat er vor und zog die Fremde in eine feste Umarmung. Ihre Arme fanden ihren Weg um seine Schultern und ihre Augen suchten kurz die von Samantha und den anderen - prüfend und argwöhnisch.

Antry löste sich aus der Umarmung, legte eine Hand sanft auf ihre Schulter und fügte mit einem ernsten Unterton hinzu:

"Glaub mir, ich würde mich gewiss nicht erneut in diese verwirrende Welt wagen, wenn diverse Personen dazu fähig wären, ihre Belange selbst zu regeln." Seine Worte klangen wie ein bitterer Scherz, gehüllt in einen Mantel aus resignierter Akzeptanz.

Samantha spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte, als sie die Fremde musterte. Der Mond warf silberne Lichtstreifen durch die dürren Äste und verfing sich in ihrem weißen Haar.

"Wer ist das?", flüsterte sie.

Iskaii ballte die freie Hand zur Faust. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er leise knurrte:

"Jemand, dem ich ohne zu zögern meine Klinge ins Herz rammen würde."

Dandelia verdrehte genervt die Augen. Eine schwache Spur von Verärgerung lag in ihrem Gesicht, gemischt mit einer Art nachdenklicher Gelassenheit. Sie konnte die dunkle Aura der Fremden spüren – sie war wie eine kalte Welle, die langsam über ihre Haut kroch und ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Trotzdem rührte sie sich nicht - noch nicht.

"Nicht alles, was bedrohlich wirkt, ist auch gefährlich. Du solltest endlich lernen, dass der erste Eindruck oft trügerisch ist."

Iskaii funkelte sie an, als wollte er widersprechen, doch dann schloss er den Mund wieder und blickte erneut zu den Fremden.

Dandelias Blick ruhte auf Antry. Ein weiteres Beispiel für Iskaiis voreiligen Hass. Der Krieger hielt Antry für gefährlich - jemanden der in der Dunkelheit lauerte, bereit, seinen Dolch in den Rücken eines Unschuldigen zu stoßen. Doch Antry war das Gegenteil – zumindest meistens. Je nachdem, wer ihm gegenüberstand, konnte er entweder ein verlässlicher Verbündeter oder ein äußerst tödlicher Feind sein.

„Du solltest ab und an Vertrauen haben, Iskaii", sagte Dandelia mit ruhiger Stimme, während ihr Blick auf der Gruppe ruhte. Fremde, ebenso seltsam gekleidet wie Samantha und mit offenkundigem Misstrauen in den Augen.

Ein leises, raues Schnauben entfuhr Iskaii:

„Vertrauen? In was, Bra'Noriia?" Seine Stimme war wie kaltes Eisen. „Ich vertraue in mich selbst, in meine Fähigkeiten und in mein Schwert." In seinen Worten lag eine Sicherheit, die keine Prahlerei war – nur das ruhige Wissen um die eigene Stärke. „Das solltest du inzwischen gelernt haben", fügte er leise hinzu, als sei diese Lektion eine, die er unzählige Male wiederholen musste.

Der Hauch eines Lächelns umspielte Dandelias Lippen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sich hinter dieser stoischen Fassade mehr verbarg.

„Vertrauen ist nicht immer Schwäche, Iskaii." Ihre Augen suchten die seinen, versuchten, die Mauer zu durchdringen, die er so sorgfältig errichtet hatte. „Manchmal ist es eine Entscheidung, die mehr Mut erfordert, als auf sich selbst gestellt zu sein."

Iskaiis Kiefermuskeln spannten sich an.

„Mut?", wiederholte er mit einem sarkastischen Unterton. „Mut liegt darin, nicht auf andere angewiesen zu sein. Wenn der Moment kommt, in dem nur deine eigene Stärke dich retten kann, verlasse ich mich auf mein Schwert. Alles andere ... wird sich zeigen."

Dandelia schüttelte leicht den Kopf und ließ einen Seufzer entweichen, der mehr Gewicht trug als ihre Worte.

„Ich sage es ungern, aber irgendwie mag ich deine Denkweise, Iskaii", warf Samantha ein. Ihr Blick war starr auf die kleine Gruppe gerichtet, ebenso wie ihre Waffe. Anspannung lag in der Luft, spürbar wie das Knistern vor einem drohenden Gewitter.

Iskaii, dessen grüne Augen die Fremden eingehend musterten, holte gerade tief Luft, um etwas zu erwidern, als plötzlich Dandelia das Schweigen durchbrach.

„Ich vertraue Antry", erklärte sie mit einer Stimme, die ruhig und doch durchdrungen von einer tiefen Überzeugung klang. „Wäre sie feindselig, wäre sie bereits tot."

„Irgendwann bringt dein Vertrauen in diesen Krieger dich noch ins Grab. Und verzeih, wenn ich dich dann nicht vor ihm retten werde."

Dandelias Herzschlag beschleunigte sich, die Worte brannten sich in ihren Verstand ein wie ein giftiger Dolch. Doch sie ließ sich nichts anmerken, ihre Züge blieben unbeeindruckt, auch wenn es in ihr brodelte.

„Genug gequatscht", fauchte Samantha schließlich, ihre Stimme schneidend und ungeduldig. Sie trat näher an Antry heran, ihr Körper spannte sich an wie die Sehne eines Bogens, bereit, sich bei der geringsten Provokation zu entladen. Die Rothaarige richtete ihren Blick auf die Gruppe, die sich vor ihnen aufgebaut hatte. In den Gesichtern der Fremden lag etwas Unbekanntes, ein Ausdruck, der sie an ein Raubtier erinnerte, das nur darauf wartete, zuzuschlagen.

„Wer seid ihr?", begann sie, ihre Stimme noch schärfer. „Was wollt ihr? Und woher zum Henker kennst du diesen Neandertaler?"

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