Autorin-CCK-Schildmaid
AutorenLeben
Kapitel 21
Iskaii lauschte den Worten, während er die Bedeutung der Worte tief in sich aufnahm. Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske und schließlich nickte er bedächtig.
"Hoch erfreut", raunte er, seine Stimme rau wie zerbröckelnder Stein. Mit einer knappen Geste deutete er eine Verbeugung an, die trotz seines zerrissenen und von Blut durchtränkten Hemdes, sowie den Überresten der Ghule, die an ihm klebten, nichts von ihrer ursprünglichen Eleganz verloren hatte. "Mir schwant, all dies, was Ihr seid und was Eure Macht bewirken kann, hat diese Welt verdient."
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Freya bei seinen Worten zusammenzuckte. Sie, die sonst so furchtlos und unnachgiebig war, zeigte plötzlich Furcht. Ein flüchtiges Zucken seiner Lippen, kaum mehr als ein Hauch von Belustigung, entging jedem, nur nicht Skàdi.
Ein Teil von ihm sehnte sich danach, diese verstörende Welt, die ihm nichts bedeutete, in Flammen aufgehen zu sehen. Er wollte die Schreie hören, das Chaos entfesseln, das aus Asche und Blut geboren wird. Doch tief in ihm regte sich ein Widerwille, ein letztes Zögern, das ihn daran erinnerte, dass es in dieser Welt Menschen gab, deren Schicksal untrennbar mit dem der anderen Welten verbunden war – und damit auch mit seinem eigenen.
So sehr ihn diese Welt auch anekelte, so sehr sie ihm wie ein überflüssiger Albtraum erschien, den es auszulöschen galt, so wusste er doch, dass ihr Ende Konsequenzen hätte, die selbst er nicht vollständig überblicken konnte. Und während er auf das Chaos um ihn herum starrte, erkannte er, dass er noch nicht bereit war, den letzten Schritt zu gehen, noch nicht bereit war, sich dem ewigen Schlaf zu ergeben. Es war nicht die Gnade, die ihn zögern ließ, sondern ein tiefes, uraltes Verlangen nach Überleben.
"Dennoch, würdet Ihr mit der Auslöschung dieser Welt auch das Ende unserer Schöpfer heraufbeschwören. Obgleich mir der Gedanke an ihren Tod ein Lächeln entlockt, bleibt die bedrückende Vermutung, dass deren Untergang auch unser Ende bedeutet." Seine Stimme verlor sich in einem Moment des Schweigens, während er ihr tief in die Augen sah - es war, als blickte er in einen Abgrund, dessen Tiefe unermesslich war.
Eine Erkenntnis traf ihn wie ein Dolchstoß ins Herz: Sie empfand keine Emotionen. Kein Mitgefühl, keine Furcht, keine Freude.
"Ich danke Euch für meine Rettung. Doch scheint es mir, dass diese sinnlos war, wenn Ihr jetzt entscheidet, die Welt zu vernichten." Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen, während seine Augen weiterhin mit ihren verwoben waren.
In diesem Moment gewahrte er eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes. Ein heller Schopf, der kurz aufblitzte. Seine Augen wanderten zu einem faustgroßen Loch in der Mauer. Dort, kaum sichtbar im Halbdunkel, erblickte er Dandelia. Ihr Gesicht war ein Trümmerfeld aus Blut, Sekret und Dreck, ihre eisblauen Augen weit aufgerissen vor Unglauben und Angst. Sie starrte zu ihnen herüber, ihre Wangen glitzerten feucht von Tränen.
Ein Stich durchfuhr sein Herz, als er die Emotionen in ihrem Blick erkannte. Es war, als ob ihre Tränen die Kälte in seinem eigenen Inneren spiegelten, die Leere, die er in den Augen Skàdis sah. Weinte Dandelia seinetwegen?
„Er lebt", keuchte Dandelia, ihre Stimme kaum mehr als ein gehauchtes Flüstern, während sie von Samantha zurück in den Schutz hinter der bröckelnden Mauer gezogen wurde. Die kühlen Steine drückten sich hart und unerbittlich gegen ihren Rücken, als ob sie ihnen irgendeine Form von Sicherheit bieten könnten. Doch diese Wand, gezeichnet von Rissen und Einschlägen, würde kaum mehr als eine Sekunde standhalten, wenn die Irre es darauf anlegte, sie zu zerstören.
„Noch", zischte die Rothaarige und richtete ihren Blick auf Dean. Es war, als wollte sie sein Gesicht ein letztes Mal in sich aufnehmen, jede Linie, jede Narbe, bevor das Unvermeidliche eintraf und der Tod seine kalten Finger nach ihnen ausstreckte. „Sie sieht nicht so aus, als fassen wir uns gleich alle bei den Händen und singen Kumbaya."
Ein bitteres Lächeln verzog Deans Lippen, als er ihre Worte hörte. Sein Humor war wie immer seine letzte Verteidigungslinie, das letzte bisschen Normalität in einer Welt, die längst den Verstand verloren hatte.
„Die Vorstellung macht mir mehr Angst, als die, von einem Steinbrocken zermatscht zu werden", spottete er und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Es war verklebt, eine Mischung aus Blut, Staub, Schweiß und was auch immer die letzten Stunden über sie hinweggefegt war. Ein Chaos, das den Zustand in seinem Inneren nur zu gut widerspiegelte.
„Ich habe noch zwei Kugeln übrig und bin, wie du weißt, ein perfekter Schütze. Ich könnte ..." Doch bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, bemerkte er das stumme Kopfschütteln von Liam, Fergus und Jason. Es war ein leises, unaufdringliches Zeichen, aber es sprach Bände.
„Scheint eine dämliche Idee zu sein, Dean", sagte Samantha mit einem Hauch von Sarkasmus, der in dieser Situation ebenso fehl am Platz war wie die ganze Misere, in die sie geraten waren. Aber es war ihre Art, mit der Angst umzugehen, die wie ein kalter, eiserner Griff ihre Herzen umschloss. „Warten wir also ab, ob Freya die Gestörte in den Griff bekommt oder ob wir in zwei Minuten alle nur noch Leichen sind."
Ein langer, mühsamer Seufzer entkam Deans trockener Kehle, ein Geräusch, das sowohl Erschöpfung als auch die vergebliche Hoffnung ausdrückte, dass das alles irgendwie gut ausgehen könnte.
„Ich werde nie wieder für diese vollkommen beschränkte Autorin von der Couch aufstehen", murmelte er, halb im Scherz, halb im bitteren Ernst.
Iskaiis Worte waren wohl das Sinnvollste, was Skàdi in der letzten Zeit vernommen hatte. Er schien ein denkendes Individuum zu sein, doch als sie seinem Blick folgte, rollte sie die Augen und die Bindung zwischen ihnen brach.
„Liebe", sie spuckte das Wort förmlich aus. „Alle Macht der Welt ist nichts, sobald dieses banale Gefühl auftaucht und die klügsten Köpfe zu Schwachmaten werden lässt. Sie hat dich zurückgelassen und doch empfindest du keinen Groll. Wahrscheinlich wisst ihr noch nicht mal um eure Gefühle füreinander." Ihre Stimme war leise und trotz deren Schwere lag kein Urteil darin. Es war eine einfache Feststellung und doch runzelte der Krieger die Stirn.
Sie blickte derweilen zu Narcos, der zwar angespannt war, aber nicht mehr tosend die Zähne fletschte. „Liebe ist und war auch mein Verderben, hoffentlich bleibt es dir erspart."
Sie ließ ihm keine Zeit für eine angemessene Reaktion, sondern riss schlagartig ihre Hände nach oben und die weißen Blitze brachen aus der Wolkendecke hervor. Im Takt ihrer Fingerbewegungen schlugen sie mit einigen Metern Abstand um sie herum in den Boden ein.
„Geh. Dein Arsch ist sicher, zumindest vor mir", sie sah zu Dandelia, „und ihrer auch."
Sie sah den fragenden Blick Iskaiis, wendete sich jedoch einfach ab und fixierte Freya mit einem breiten Lächeln.
Diese zuckte bei den ersten Blitzen, die immer näher in ihre Richtung wanderten, zusammen. Sie war geliefert und doch senkte sie die Arme, hob das Kinn und stütze ihre Hände in die Hüfte. Wenn sie sterben würde, dann wie ein Greenblood.
„Na dann los. Streck mich nieder und beende diese Scheiße. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Im Gegensatz zu Alice kann ich keine Wahrscheinlichkeiten berechnen und somit die Zukunft vorhersagen. Du hättest ja nur Bescheid geben müssen, dass du deinen Arsch tatsächlich für unsere Rettung erhoben hast. Und überhaupt... Was ist dein Problem? Wir standen dem Tod heute hundertmal gegenüber. Für dich hingegen ist das doch alles nur ein großes Spiel."
Freya hielt kurz inne. Der Sturm um sie nahm zu. Senkte sich langsam und tobte nur noch wenige Meter über ihrem Kopf. Sie fixierte Skàdi, deren schwarze Schatten um sie tanzten und sich immer weiter ausbreiteten. Angepisst war also gar kein Ausdruck mehr, aber mehr als Provokation blieb ihr nicht. Vielleicht würde dann nur ihr Leben verwelken. Sie schloss kurz die Augen und holte tief Luft.
„Wenn ich heute sterbe, dann mit einem reinen Gewissen. Das ändert aber nichts an deinen Fehlentscheidungen und an deinem persönlichen Versagen."
Genau in dem Moment, als Iskaii über die schützende Mauer sprang, wurde aus dem Sturm ein Orkan und senkte sich nieder. Er umschloss die beiden Frauen vollständig. Die schwarzen Nebelschlieren vermischten sich mit der Gewalt der Elemente. Freya spürte, wie ihr der Sauerstoff aus der Lunge gepresst wurde. Keuchend ging sie in die Knie und rang verzweifelt nach Luft, während Skadi wie eine Säule zwischen den Trümmern stand und dabei zusah, wie das Leben langsam aus Freyas Leib verschwand.
Die Blitze knisterten, als sie nur Millimeter neben Freya einschlugen. Sie spürte die Hitze, die von ihnen ausging und dass sie nichts von ihrer Energie abgaben. Der Boden bebte und brachte alles um sie herum zum Einstürzen. Die schützende Mauer gab unter der Last nach und einzelne Gesteinsbrocken wurden in den Wirbelsturm gezogen. Der Sturm steifte die anderen, welche langsam zurückwichen, wissend, dass kein Abstand der Welt ihnen Schutz bieten würde, sobald Skadi diese geballt gesammelte Energie freilassen würde.
Es war ein kaum sichtbarer Schimmer, der Liam zurückweichen ließ. Ein goldener Schein, der sofort zu einem undurchdringlichen Schutzwall explodierte und sich mit angenehmer Wärme über die Gruppe legte. Er bildete eine Schutzkugel, die den tosenden Orkan von ihnen abschirmte. Vor ihnen stand wie aus dem Nichts eine junge Frau, deren lavendelfarbene Haare durchnässt über ihren Schultern lagen. Daneben ein Schwarzhaariger, dessen Augen eisblau glühten.
„Ich dachte schon, ihr lasst uns hier sterben", entfuhr es Liam erleichtert.
„Ging nicht schneller. Es gab ein paar Komplikationen", erwiderte der Schwarzhaarige und grinste den Shieldzwilling breit an.
„Komplikationen? Diese Nichtskönner haben fast das ganze Schloss in Flammen aufgehen lassen", knurrte die junge Frau, um deren zitternde Arme goldene Schlieren flossen. „Scheiße. Sie zieht viel zu viel Energie. Ich kann das hier nicht ewig aufrechterhalten. Milano ... bring sie hier weg."
Doch ehe dieser sich in Bewegung setzen konnte, tauchte ein weiterer Mann auf. Er war hochgewachsen, trug breite Schultern und in seinen Augen waberten weiße Schlieren.
„Nein. Bring mich zu ihr."
Milano sah ihn mit erhobenen Brauen an. „Sicher?" Schlagartig verfärbten sich seine Augen, verloren all ihre Farbe und schwarze Sicheln zeichneten sich ab. Sie ähnelten Skàdis, nur waren seine nach unten geöffnet.
Der Schwarzhaarige hob entschuldigend die Hände. „War ja nur eine Frage. Sie scheint echt mies drauf zu sein."
„Meine Schwester ist in ihrem Sturm gefangen, also könntet ihr vielleicht", forderte Liam und zeigte ungeduldig auf den pulsierenden Orkan aus nunmehr schwarzen Wänden.
Sogleich nickte Milano, legte seinen Arm und den anderen Mann und einen Wimpernschlag später waren sie verschwunden. Liam hatte seinen nächsten Atemzug noch nicht beendet, als Milano wieder vor ihm stand und die nach Luft schnappende Freya in den Armen hielt. „Fuck ... ich habe das beschissene Licht meines Endes schon gesehen."
Liam schmunzelte, half Freya, sich auf ihre Beine zu stellen, und schloss sie dann in seine Arme.
„Widerlich süß", kommentierte die junge Frau, deren Arme immer stärker zu zittern begannen.
„Immer wieder eine Freude, dich zu treffen, Alice", sagte Freya und beugte sich vorn über.
„Kann ich nicht behaupten, denn jedes Mal, wenn es dazu kommt, steckt erst ihr in der Scheiße und dann wir."
Gleißend rotes Licht unterbrach die nicht so ernstgemeinten Anfeindungen und alle Aufmerksamkeit lag wieder auf den Geschehnissen vor ihnen. Alice schien ihren Schutzwall ein weiteres Mal zu verstärken, was sich das Zittern ausbreiten ließ.
„Schafft er das?", fragte Liam und zog Freya schützend an sich.
Milano sah besorgt zu dem Wirbelsturm, durch welchen sich nach und nach rote Schlieren zogen und das tiefe Schwarz aufhellten. „Im Normalfall würde ich ja sagen, doch nachdem sie sich heute früh schon nicht sonderlich gut verstanden haben...", er zuckte mit den Schultern, „Sagen wir es so: Alice hat euer aller Überleben gesehen, also warten wir ab, ob das auch auf die beiden zutrifft."
Er drehte sich um seine eigene Achse und sah dann erneut zu Liam. „Wie steht es um dieses Kaff, braucht ihr das noch?"
„Nicht zwingend, warum?"
Diesmal antwortete Alice, deren Atem mittlerweile schwer ging. „Ich denke nicht, dass sich diese Energie noch neutralisieren lässt. Mit Glück kann Tamo sie umlenken und ich euch schützen. Für den Rest könnte es durchaus ... beschissen aussehen."